Wenn uns ein Mensch liebt, dann liebt er uns für unser Sein. Wir müssen dazu nichts Besonderes tun, nichts Besonderes leisten. Liebe hat diesen Menschen dazu erwählt, uns zu lieben. Er kennt die wahren Gründe dafür selbst nicht. Auch dann nicht, wenn er aus dem Verstand heraus welche nennen könnte. Was die Liebe tut, liegt nicht in Menschenhand. Wenn zwei Menschen einander lieben, wurzelt das nicht in ihrer Entscheidungskraft. Sie wurden dazu bestimmt.
Aus diesen Gründen müssen wir nichts Außergewöhnliches darstellen, keine Großtaten vollbringen, uns nicht selbst ins beste Licht rücken, um Liebe zu erfahren. Wir dürfen in Dankbarkeit und Demut die Liebe des anderen annehmen und erwidern. Sie will frei aus ihm heraus zu uns fließen. Es ist ein unendlich kostbares Geschenk, die Liebe eines anderen anzunehmen. Und diese Liebe gründet sich weder auf rationalem oder logischem Boden, noch fordert sie eine Leistung.
Ich habe sehr lange gebraucht, um das für mich selbst zuzulassen. Immer wieder war ich der irrigen Überzeugung aufgesessen, ich müsse jemand Besonderes sein oder etwas Besonderes tun, um die Liebe anderer Menschen zu verdienen. Hat man sie mir gegeben, habe ich sie sabotiert, weil ein uraltes Programm aus meiner Kindheit sagte „Du musst besonders sein, sonst verdienst du Liebe nicht. Gefalle. Falle auf. Sei laut und bunt. Beeindrucke.“
Heute weiß ich, dass dies ein narzisstisches Muster ist, an dem viele Menschen leiden. Und mehr denn je ist mir bewusst, dass man den entspannten, unaufgeregten, authentischen Menschen hinter der farbenprächtigen Fassade zu lieben wünschte. Man wollte ihn einfach nur lieben, um seinetwillen. Man wollte sein wahres Wesen, seinen sanften, zarten, tiefen Kern lieben. Aber der bunte Clown, die Maskerade, der laute Gockel und seine an der Oberfläche stattfindende Show hat jedwede Liebe unmöglich gemacht und dadurch viele wunderbare Menschen tief verletzt. Oftmals so sehr, dass sie gehen mussten, obwohl sie noch liebten.
Nach vielen Jahren kann ich mich sehen lassen, statt mich zu zeigen. Das ist ein großer Unterschied. Ich lasse in mich hineinsehen, statt meine Person zeigen zu wollen. Heute kann ich nackt in der Seele vor jenen erscheinen, die mich lieben wollen. Ich kann Liebe annehmen. Ich kann sie zulassen und genießen, kann mich in sie fallen lassen, ohne Netz oder doppelten Boden. Es ist still in mir und friedlich. Denn ich erlaube es anderen, meinen Kern zu sehen. Die Seele, die ich bin, trägt keine Masken mehr, keine Camouflage, legt keine Show mehr hin, um besonders sein zu wollen. Und damit mache ich es anderen erst wirklich möglich, mich mit ihrer Liebe zu beschenken.
Es war ein weiter, schmerzhafter Weg bis hierher. Auf diesem Wege bedaure ich nicht meinen eigenen Schmerz, sondern den jener Menschen, denen ich es unmöglich machte, mich zu lieben. Ich bedaure es, ihre Liebe sabotiert zu haben, sie von mir gestoßen und abgewiesen zu haben. Ich bedaure meine Bedrohlichkeit und meine Unfähigkeit, durch die ich wundervolle Menschen verletzt habe. Aber ich segne sie als Engel, die größer waren, als sie wohl selbst ahnten.
Warum ich dir das erzähle?
– Weil ich aus meiner eigenen Geschichte, aber auch aus meiner Arbeit mit Menschen lernen durfte, dass narzisstische Muster heilbar sein können. Weil viele Menschen unter diesen Mustern leiden. Es sind Menschen, die tief in ihrem Innersten nach Liebe schreien wie nach der Brust ihrer Mutter, aber sie nicht annehmen können. Und weil sie keine annehmen können, fällt es ihnen auch immens schwer, sie in sich selbst zuzulassen. Weil viele Menschen glauben, Liebe müsse man sich verdienen. Darum sage ich dir das. Damit du an meinem Beispiel neue Hoffnung fassen kannst. Du bist nicht dazu verdonnert, deine narzisstischen Muster ein Leben lang zu nähren. Sie sind heilbar. Und der erste Schritt dahin ist es, sie dir einzugestehen. Sobald du das kannst, beginnst du sie zu erkennen. Ab da bist du auch fähig, sie zu heilen oder heilen zu lassen. Damit am Ende auch du erkennen kannst, dass du niemand Besonderes sein musst, nichts Besonderes tun musst, um geliebt zu werden. Damit auch du eines Tages nackt in der Seele vor anderen stehen kannst als du selbst. Und endlich wirst du Liebe spüren, weil sie von dir zu anderen und von anderen zu dir frei fließen kann. Du wirst nicht mehr kontrollieren wollen, keine Eifersucht mehr spüren und keine Angst. Andere werden dich nicht mehr verlassen, weil du ihnen zu viel geworden bist. Sie werden deine Nähe genießen und dich für das lieben, was du wirklich bist. Du wirst so beflügelt sein, als wärst du ein Vogel, der zum ersten Mal aus seinem Käfig fliegt.
In Liebe,
David Pauswek