HARTES BROT

Sie war jung und wusste nichts
von der Liebe.
Sie wollte einfach gesehen und
geliebt werden.
Und dann kam einer und nahm sie mit.
Erst mit in seine Kneipe und dann in sein Bett.
„Liebst du mich?“, fragte sie ihn.
Er sah´ zu Boden und sagte: „Na ja, ich glaube schon
etwas. Ich könnte dich mehr lieben, wenn du schöner
wärest und nicht so laut und wenn du nicht immer alles
hinterfragen würdest.“
Sie schluckte und nahm dennoch jedes seiner Worte
tief in sich hinein.
Sie war jung und wusste nicht, was Liebe ist und was
Liebe will.
So achtete sie sehr auf ihre Figur, trieb Sport bis zum
Umfallen, schminkte sich sorgfältig, sagte nichts mehr
und stellte auch keine Fragen.
Er verließ sie.
Später kam ein anderer und nahm sie mit.
Sie schaute ihn an und fragte: „Liebst du mich?“
„Vielleicht“, sagte auch er.
„Ich könnte dich mehr lieben, wenn du nicht so
stressig wärest und nicht alles schlucken würdest,
wie ein kleines Mäuschen. Sag´ doch mal, was du wirklich
denkst und willst und sei nicht so unterwürfig.“
Sie schluckte und wusste sofort, auch für ihn war sie
weder richtig noch genug.
Sie war jung und unerfahren und wollte nur gesehen
und geliebt werden.
Er verließ sie.
Später kamen andere.
Für einige war sie nicht attraktiv genug.
Für wieder andere war sie zu auffällig.
Sie war zu laut und zu leise.
Zu dick und zu dünn.
Zu hart, zu weich.
Zu dünnhäutig, zu dickfällig.
Zu tiefsinnig, zu oberflächlich.
Sie spürte sich schon lange nicht mehr selbst.
Weder ihren Körper noch ihre Seele.
Sie war sich fremd und verstand sich selbst nicht.
Dann ….. vor einigen Jahren, in denen sie alleine
blieb und immer noch nach der Liebe suchte, kam
keiner mehr.
Und während dieser Zeit fielen einige Schichten von
ihr ab.
Sie fühlte plötzlich all´ die Scham in ihrem Körper
und ihrer Seele.
Sie spürte den ganzen Hass, ihren und den der anderen,
in ihrer Seele und in ihrem Herzen.
Und sie reinigte sich.
Sie wusste plötzlich, dass sie nichts falsch gemacht hatte,
nur weil sie für andere nicht gut und nicht genug war.
Und sie weinte. Und schämte sich. Und haderte noch
eine Weile mit sich.
Bis es genug war.
Sie sah sich selbst im Spiegel an.
Betrachtete ihren Körper.
Schaute auf den Grund ihrer Seele.
Sie wusste vielleicht immer noch nicht, was Liebe war.
Sie wusste aber jetzt was Selbstachtung war.
Sie beschloss: Es reichte ihr.
Sie hatte genug.
Von dem sich ständig verbessern müssen.
Von dem andere glücklich machen zu müssen.
Sie machte sich jetzt selbst glücklich.
Und atmete befreiter als je zuvor.
Sie war genug.
Und sie war jetzt nicht mehr jung und unerfahren.
Sie würde kein hartes Brot mehr zu sich nehmen.
Ihr Leben hatte sie gelehrt.
Text: Milena Fluss