Es heißt, es gibt einen Stamm in Afrika, bei dem das Geburtsdatum des Kindes nicht der Tag ist, an dem es geboren wird, auch nicht der Tag, an dem es empfangen wurde, sondern der Tag, an dem das Kind erstmals als Gedanke im Kopf seiner Mutter erschien.
Und wenn eine Frau beschließt, dass sie das Kind empfangen wird, geht sie aus dem Dorf hinaus und setzt sich unter einem Baum, und sie lauscht in sich hinein, bis sie das Lied des Kindes hören kann, das durch sie geboren werden will. Und nachdem sie das Lied des Kindes gehört hat, kehrt sie zurück zu ihrem Mann, welcher der Vater des Kindes sein wird, und lehrt auch ihn das Lied. Wenn sie sich dann lieben, um das Kind körperlich zu empfangen, dann singen sie gemeinsam das Lied des Kindes, als eine Einladung.
Wenn die Mutter schwanger ist, lehrt sie auch die Hebammen und die alten Frauen des Dorfes das Lied zu singen, so dass die Menschen um sie herum während der Geburt das Lied des Kindes singen können, um es zu begrüßen. Und dann, wenn das Kind aufwächst, haben auch die anderen Dorfbewohner sein Lied gelernt. Wenn das Kind fällt und seine Knie schmerzen, schließt es jemand in die Arme und singt sein Lied dazu. Wann immer das Kind etwas Wunderbares tut, wenn es durch die Riten der Pubertät geht, wenn es heiratet – auch dann singen die Menschen des Dorfes sein Lied, um seine Seele zu ehren. Und auf diese Weise geht das Kind durch sein Leben.
In diesem afrikanischen Stamm gibt es noch eine weitere Gelegenheit, zu der die Dorfbewohner für das Kind singen: Wenn diese Person zu irgendeinem Zeitpunkt während seines oder ihres Lebens, ein Verbrechen begeht, wird sie in das Zentrum des Dorfes gerufen und die Menschen seiner Gemeinschaft bilden einen Kreis um sie herum. Und dann singen sie behutsam das Lied für diese Person. Der Stamm fühlt, dass sein Verhalten nicht nach Bestrafung ruft, sondern nach Liebe und nach Erinnerung an die wahre Identität seiner Seele. Wenn wir erinnern, wer wir sind und unser eigenen Lied erkennen, gibt es keinen Wunsch und keine Notwendigkeit mehr, irgendetwas zu tun, was jemand anderen verletzt.
Ein Freund, so sagen sie, ist jemand der das Lied deiner Seele singt, wenn du es selbst vergessen hast. Diejenigen, die dich lieben, lassen sich nicht irreleiten durch Fehler, die du machst oder dunkle Bilder, die du über dich selbst hast und sogar verteidigst. Sie erinnern sich an deine Schönheit, wenn du dich hässlich fühlst, dein ganz sein, wenn du gebrochen bist, deine Unschuld, wenn du dich schuldig fühlst und wenn du durcheinander bist, erinnern sie deine Aufgabe.
In der hawaniianischen spirituellen Tradition wird jedes Neugeborene als eine Schale aus Licht betrachtet. Was für eine perfekte Metapher für die Ausstrahlung einer großen Seele in einem kleinen Körper. Wenn das Kind in die Gesellschaft eingeführt wird, so lehren Kahunas, dann fallen Gedanken und Gefühle der Begrenzung wie Steine in die Schale. Schuld, Scham, Ärger, Neid, Verurteilung, Angst und Einsamkeit füllen allmählich die Schale und verdrängen das Licht. Nachdem der Mensch jahrelang die selbstzerstörerischen Gedanken anderer aufgenommen hat, wird schließlich die Schale so mit Steinen belastet, das nicht mehr als ein winziger Lichtstrahl übrigbleibt.
So wandert der Erwachsene traurig und alleine durch die Welt und fragt sich: Wer bin ich? Was mache ich hier?
Um unsere Aufgabe im Leben zu erfüllen, müssen wir nicht jemand oder etwas werden, was wir nicht sind. Wir müssen zurückkehren zu dem Zustand, in dem wir waren, bevor die Steine in unserer Schale gelandet sind. Der spirituelle Weg erfordert nicht, das wir uns reparieren. Denn wir sind nicht kaputt. Wir müssen lediglich loslassen von allem, was wir nicht sind. Mit jedem Stein des Schmerzes, den wir zur Seite legen, wird etwas von dem eingesperrten Leuchten befreit.
Es gibt eine einfache Methode um festzustellen, ob etwas, was du tust mit deiner Aufgabe übereinstimmt. Wenn es sich gut anfühlt, stimmt es überein und wenn es sich schlecht anfühlt, dann gehört es nicht zu dir. Das Leben verlangt nicht, das du deine Freude opferst oder Kompromisse eingehen musst um zu bekommen was du möchtest. Es bittet dich mutig auszudrücken, wer du bist und was du tun würdest, wenn du dich wirklich liebst. Je mehr du dich in Harmonie mit deinem inneren Licht ausdrückst umso näher bist du deinem Zuhause, um so näher bist du dem Zustand, vom dem du kommst und zu dem du hingehst.
Hör auf dein Lied. Heute, in dieser Woche, diesen Monat und in diesem Leben. Es wurde dir aus verschiedenen Richtungen und von vielen Stimmen gesungen. Du bist näher an deinem Zuhause als du glaubst. Schmerz und Tränen sind nicht länger erforderlich. Dein Einsatz im Leben ist Freude und Freude ist die Antwort. Und wenn du das Leben verlässt, wirst du dein Lied auf beiden Seiten der Grenze hören
Frei nach Alan Cohen, aus dem Buch „Wisdom of the Heart”